Welche Expertise ist fürs Gestalten von Kollaboration nötig?
20.12.2021
Die Herausforderungen unserer Zeit erfordern immer häufiger, dass Forschende in neue Rollen schlüpfen. Deshalb hat ein Team des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) neue Beratungsansätze analysiert, in welchen Akteure aus Politik und Verwaltung dabei unterstützt wurden, kollaborative Prozesse rund um sozio-ökologische Fragen zu konzipieren. Die darüber veröffentlichte Studie benennt Kenntnisse, Fähigkeiten und Praktiken, die für die Gestaltung von Kollaborationen notwendig sind.
Die Publikation untersucht ausgewählte Politikberatungstätigkeiten der Forschungsgruppe „Ko-Kreation und zeitgemäße Politikberatung“ am IASS, die mit kollaborativen Ansätzen an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft arbeitet. So hat das Team beispielsweise einen Bezirk in Berlin beim Ausarbeiten von Mobilitätsstrategien im öffentlichen Raum während der Covid-19-Pandemie unterstützt. Ein anderer Stadtteil der Hauptstadt wurde dabei begleitet, Bürgerräte zu konzipieren und durchzuführen, bei denen die künftige Entwicklung des Bezirks fortgeschrieben wurde.
Die Analyse veröffentlicht im Journal „Humanities and Social Sciences Communications“ der Springer-Nature-Gruppe legt dar, dass eine – wie die Autorinnen sie nennen – Prozessexpertise durch mehrere Bedingungen gefördert wird: Einerseits stünden diese im Forschungskontext und andererseits seien zusätzliche Fähigkeiten und Erfahrungen erforderlich, die nicht häufig an Universitäten gelehrt oder ermöglicht werden.
Das richtige Beratungssetting: Arbeit auf Beziehungs- und Prozessebene
Denn Forschende benötigen über ihr Fachwissen hinaus Erfahrungswissen, um ein kooperatives Politikberatungssetting für alle Beteiligten zu schaffen. Hier sei ein entscheidender Punkt die Arbeit auf der Beziehungsebene, so die Autorinnen. Auch Moderationserfahrung helfe den Forschenden dabei, zwischen den beteiligten Akteuren zu vermitteln und zugleich den Prozess des Zusammenstellens von Wissen zu strukturieren. Mit diesen Fähigkeiten würden Bedingungen geschaffen, unter denen Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wissenschaft an der Bewältigung eines Problems zusammenarbeiten könnten.
Gleichzeitig findet die Arbeit auf der prozessualen Ebene statt. Hierbei gehe es darum, mit den anderen beteiligten Akteuren, ein „Prozessdesign“ zusammenzustellen, das eine Landkarte des künftigen Beteiligungsprozesses erschaffe: Wer wird wie beteiligt? Zu welchem Zweck? Auf der prozessualen Ebene zeige sich die Zusammenarbeit von ihrer produktiven Seite und führe zu greifbaren Ergebnissen. Was die Autorinnen schlussfolgern lässt, dass die fortlaufende Arbeit an der Schnittstelle von Beziehungs- zu Prozessebene dazu beitrage, die Dynamik in kollaborativen Partnerschaften aufrechtzuerhalten.
Im „Backstage“ eines kollaborativen Verfahrens trägt Prozessexpertise dazu bei, einen neuen Arbeitskontext zu schaffen, der weder im akademischen noch im politischen Bereich zu finden ist, sondern von den Autorinnen als „Zwischenraum“ bezeichnet wird. In diesem neu entstandenen, nicht institutionalisierten Raum können und sollten alle Beteiligten aus ihren konventionellen Rollen heraustreten. Die Unbestimmtheit der Rollen sei eine der größten Stärken dieser Räume: Sie ermögliche nämlich neue kommunikative Dynamiken und ebne den Weg fürs gemeinsame Erarbeiten von Lösungen. Zugleich seien diese Politikberatungsräume aber auch temporär, fragil und unbeständig, so die Autorinnen. „Im schlimmsten Fall kann ein einziger personeller Wechsel oder Rückzug von politisch Entscheidenden alle Kooperations- und Forschungsbemühungen gefährden“, sagt Erstautorin Molinengo.
Kollaboratives Arbeiten am IASS
Zwei Bedingungen konnten die Autorinnen herausfiltern, welche Forschende dazu befähigen, mit der Fragilität dieser Beratungsräume umzugehen und Prozessexpertise neben dem fachlichen Knowhow als integralem Bestandteil eines Forschungsauftrags zu verstehen und auszuüben. Ein Punkt sei die kollektive Praxis der Prozessexpertise innerhalb von etablierten wöchentlichen Teamsitzungen des Forschungsteams, wo sich die Teammitglieder zu laufenden Beratungsprojekten mit ihrer Kollegschaft austauschen konnten (Peer-to-Peer-Beratung). „Diese Treffen schaffen eine kritische Distanz zu den drängenden Anforderungen des Beratungssettings“, sagen Molinengo und Kolleginnen – „und fördern gleichzeitig das Gleichgewicht zwischen gesellschaftlichen Ergebnissen und Forschungsresultaten.“
Ein zweiter Faktor finde sich auf der institutionellen Ebene der Forschung. Der transformativen IASS-Forschungsansatz erteilt den Teams den Auftrag, mit neuartigen Forschungspraktiken zu experimentieren und hält das Bewusstsein für die dafür notwendigen Soft Skills aufrecht. Damit gemeint sind etwa Erfahrung der Forschenden in kollaborativer Führung, Moderationspraxis und Knowhow in agilem Management – was für kollaborative Forschungsvorhaben notwendig sei.
Schlussendlich möchten die Wissenschaftlerinnen ihr Ergebnis nicht als Rezept verstanden wissen für gelingende transformative Prozesse, sondern als Einladung zu einem weiteren Dialog innerhalb von Forschungsgruppen der transformativen Wissenschaft. Ein Austausch sei nicht nur fürs Verfeinern von Prozessexpertise wichtig, sondern vor allem als Unterstützung und Orientierung für diejenigen, die mit den Herausforderungen der Zusammenarbeit täglich konfrontiert seien.
Publikation:
Giulia Molinengo, Dorota Stasiak und Rebecca Freeth: Process expertise in policy advice: Designing collaboration in collaboration, Humanities and Social Sciences Communications volume 8, Article number: 310. DOI: https://doi.org/10.1057/s41599-021-00990-9