Klimaschutz in Israel nimmt Gestalt an
12.08.2019
David Dunetz ist seit 20 Jahren für das Heschel Center for Sustainability in Tel Aviv tätig, das die Israel Climate Alliance und viele Konsortien aus Organisationen der Zivilgesellschaft koordiniert. Sein besonderes Interesse gilt Methoden für die Multi-Stakeholder-Einbeziehung. In diesem Zusammenhang initiiert er Partnerschaften zur Gestaltung von Prozessen, die einen politischen Wandel in Israel vorantreiben – in so unterschiedlichen Bereichen wie urbane Wiederbelebung, Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs), Gesundheits- und Lebensmittelsysteme sowie Klimaschutz. Im Jahr 2018 organisierte er den alljährlichen israelischen Klimagipfel. Aktuell untersucht er als Gastforscher am IASS Potsdam im Rahmen eines Programms mit dem Israel Public Policy Institute, wie Bürgerbeteiligung die Klimapolitik und demokratische Innovationen voranbringen kann.
Sie arbeiten seit vielen Jahren an Strategien für mehr Nachhaltigkeit in Israel. Meinen Sie, dass Ihre Botschaft endlich durchdringt?
Der Klimaschutz spielt in der israelischen Politik und im Bewusstsein der Öffentlichkeit noch keine große Rolle, aber es gibt eine wachsende Klimaschutzbewegung, die an Einfluss gewinnt. Wir verfügen über eine extrem dynamische zivilgesellschaftliche Bewegung mit verschiedenen Gruppen, die die Herausforderungen des Klimawandels erkannt haben. Die Bandbreite reicht von Sozialrechtsaktivisten über religiöse Gruppierungen bis hin zu jungen Menschen, die freitags streiken. Außerdem ist eine Vielzahl an zivilgesellschaftlichen Umwelt- und Nachhaltigkeitsorganisationen entstanden. Daher hoffe ich, dass Umweltthemen in der nationalen Politik in den nächsten Jahren eine größere Rolle spielen werden.
Ist der Klimaschutz im Wahlkampf für die Parlamentswahl am 17. September ein Thema?
Genau das ist das Problem: Der Klimaschutz spielt so gut wie keine Rolle. Der Wahlkampf in Israel dreht sich nur um innenpolitische Themen mit dem Schwerpunkt auf Frieden und Konflikten zwischen Arabern und Juden. Viele gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme werden so an den Rand gedrängt. Bei Kommunalwahlen ist das anders: Dort nimmt die Politik häufig sehr konkrete ökologische Themen in Angriff, zum Beispiel in Haifa die Luftverschmutzung. Ein positiver Aspekt ist immerhin, dass es beim Thema Nachhaltigkeit in der israelischen Politik keine Spaltung zwischen linken und rechten Kräften gibt. Alle Parteien sind sich einig, dass der Klimaschutz in Zukunft ein wichtiges Politikfeld sein wird.
Wo liegt mit Blick auf den Klimaschutz der politische Schwerpunkt der Parteien?
Die Regierung sieht Israel als „Start-up-Nation“ und betrachtet den Klimaschutz leider hauptsächlich als wirtschaftliche Chance für den Export vom technologischen Innovationen. Dieses Bild ist nicht ganz falsch: Israel ist im Hinblick auf technologische Innovationen – etwa beim Wassermanagement für die Landwirtschaft sowie in den Bereichen Biotechnologie und Fintech – sehr agil. Außerdem bringen wir wichtige Innovationen für Solarenergie hervor, die in der Regel exportiert werden. Doch beim Übergang hin zu erneuerbaren Energien hinkt Israel im internationalen Vergleich stark hinterher: Diese Energiequellen liefern hier nur rund 4 Prozent der verfügbaren Energie. Es gibt Hoffnung, dass sich dies ändern wird – und viele Menschen kämpfen mit großer Entschlossenheit dafür. Aktuell wird mit einem Beteiligungsverfahren, das eine große Vielfalt von Stakeholdern einbezieht und in das wir stark eingebunden sind, ein Klimaschutzgesetz erarbeitet. Ich freue mich sehr über diese Entwicklungen, denn die demokratische Teilhabe muss mit dem Klimaschutz Hand in Hand gehen.
Was ist die Rolle des Heschel Center in diesem Prozess?
Das Heschel Center steuert das Verfahren, das für jeden Bereich vier Arbeitsgruppen umfasst: Energie, Bau und Stadtplanung, Verkehr sowie Unternehmen und Industrie. Die Arbeitsgruppen entwickeln eine Planung für die Dekarbonisierung Israels und sollen ihre Ergebnisse Mitte 2020 vorlegen, also rechtzeitig vor der Anpassung der national festgelegten Beiträge des Pariser Abkommens.
Am IASS erforschen Sie Beteiligungsverfahren rund um Nachhaltigkeitsthemen. Für welche Verfahren interessieren Sie sich besonders?
Der deutsche Klimaschutzplan 2050, der im Rahmen eines breit angelegten Beteiligungsverfahrens entstand, gehörte zu den Inspirationsquellen für die israelische Klimastrategie. Wir luden eine Vertretung des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie und der deutschen Regierung ans Heschel Center ein, um mehr über die Erfahrungen aus dem Multi-Stakeholder-Prozess zu erfahren, mit dem das deutsche politische Rahmenwerk erarbeitet wurde. Ich untersuche nun die Folgen dieses Verfahrens und erforsche weitere Mittel und Möglichkeiten, die zivilgesellschaftliche Einbeziehung in den Transformationsprozess zu stärken.
Methoden wie der Bürgerdialog haben mich tief beeindruckt, und ich will an Orten wie Irland und Großbritannien mehr darüber erfahren, wie sie funktionieren. Auch den Potsdamer Bürgerhaushalt hier vor Ort finde ich faszinierend, und ich habe bereits einen Besuchstermin bei der Stadt vereinbart. Ich analysiere Möglichkeiten, wie eine stärkere demokratische Teilhabe nicht nur an den Wahlurnen verwirklicht werden kann. Mir scheint, dass momentan vielfältige, einem tatsächlichen Bedarf entsprechende Methoden entstehen, die über die „herkömmlichen“ Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung hinausgehen.
Zu Ihrem Beruf gehört die Weitergabe von Wissen und Bildung. Sind Sie vom Erfolg der Bewegung „Fridays for Future“ überrascht?
Ich finde „Fridays for Future“ sehr inspirierend. Greta ist großartig – ich habe mir erst im Juli ihre Rede in Berlin angehört. Ihr Ansatz ist in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil von dem, was ich seit vielen Jahren in der Umweltbildung predige. Nämlich dass man keine alarmistischen, apokalyptischen Geschichten erzählen darf, die den Leuten Angst machen, sondern dass man lieber Hoffnung verbreiten und die optimistische Perspektive einnehmen sollte, dass etwas getan werden kann. Doch dann kommt Greta daher und erklärt, dass unser Haus brennt und dass die Menschheit ausgelöscht werden könnte. Und es funktioniert! Natürlich hat sie recht: Wenn wir der Forschung Glauben schenken, müssen wir mit dem Schlimmsten rechnen, und die Regierungen handeln nicht schnell genug.
Die nackte Wahrheit, so furchteinflößend sie auch sein mag, bewirkt also, dass endlich gehandelt wird?
Interessanterweise zeigt sich, dass Angst als Botschaft zu einem gewissen Grad funktioniert, während der gemäßigte Nachhaltigkeitsansatz, dem wir bisher gefolgt sind, die dringend benötigte Wende nicht herbeigeführt hat. Daher überdenke ich sogar meine eigenen pädagogischen Strategien. Es zeigt sich, dass die jungen Menschen bereit sind, die Wahrheit zu hören und entsprechend zu handeln, weil ihnen klar ist, dass es um ihre eigene Zukunft geht. Doch wie auch Greta sagt, kann die anstehende Aufgabe nicht von den jungen Menschen allein gelöst werden. Sie sind darauf angewiesen, dass wir Erwachsenen in die Gänge kommen und die Wende beschleunigen, auch wenn das für uns unbequem ist. Gretas Botschaft ist also ein entscheidender Weckruf. Hoffnung ist zwar wichtig, aber sie darf keine Voraussetzung für aktives Handeln sein. Oder wie Greta sagen würde: „Wenn wir anfangen zu handeln, ist Hoffnung überall. Anstatt also nach Hoffnung zu suchen - suchen Sie nach Handlungsmöglichkeiten. Die Hoffnung wird dann kommen.“