Nachhaltigkeitsforschung und Kunst – Verbündete für die Transformation von Narrativen
02.12.2021
Eine von der schmelzenden Arktis komponierte Symphonie berührt das Publikum auf der COP25. Eine Fotografie inspiriert eine Politikwissenschaftlerin, ihre Recherchen zum Amazonas-Regenwald um eine Performance in einem Berliner Stadtwald zu erweitern. Und ein Museum für Zukünfte hat nicht nur ein Bildungsteam, das Workshops für seine Ausstellungen durchführt, sondern eine ganze Etage ist ein Laboratorium, in dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Künstlerinnen und Künstler gemeinsam „verrückt werden“ können.
Diese Erfahrungen veranschaulichen, wie wissenschaftliche Disziplinen, Forschung und Kunst integriert werden können, um Nachhaltigkeitstransformationen zu katalysieren. Um dieses Thema drehte sich eine Panel-Diskussion mit Kat Austen (Studio Austen), Maria Cecilia Oliveira (IASS) und Stefanie Holzheu (Futurium) beim Forum Wissenschaftskommunikation, der größten Konferenz für Wissenschaftskommunikation im deutschsprachigen Raum. Die Runde wurde von der IASS-Forschungsgruppe Demokratische Governance für ökopolitische Transformationen (Ecopolitics) organisiert und von mir moderiert.
Im Zentrum standen zwei Arbeitsfragen:
- Welche Rolle spielt Kunst bei der Veränderung dominanter Narrative in der Gesellschaft?
- Gibt es ethische und ästhetische Grenzen für den Einsatz von Kunst zur Wissenschaftskommunikation?
Kunst kann uns dazu anregen, tiefgründige persönliche Fragen zu stellen, die einzigartige transformative Kräfte freisetzen. Transdisziplinäre Forschung, die Kunst und Wissenschaft verbindet, hilft uns dabei, neues Wissen zu generieren, indem wir diesen Austausch als wechselseitige Kommunikation gestalten. Die Podiumsteilnehmenden diskutierten Möglichkeiten und Herausforderungen unsere Vorstellungen umzugestalten durch eine transdisziplinäre Zusammenarbeit mit den Künsten. Die Diskussion sollte dazu beitragen, zeitgenössische Kämpfe in der Demokratie kritisch zu untersuchen, eine Mission der Forschungsgruppe. Zugleich ging es darum, wie das Wissen über Erdsysteme die politischen Räume und Umweltgerechtigkeitsagenden verändert.
Was müssen wir noch wissen, bevor wir handeln, und wie müssen wir es wissen?
Wissen und sein Kontext stehen im Mittelpunkt von Künstlerin und IASS Fellow Kat Austen - und zwar fokussiert auf Umweltfragen. Sie ist überzeugt, dass wir Empathie mit dem „nicht-menschlichen Anderen“ schaffen müssen, die über eine ökologische Trauer hinausgeht. Sie arbeitet an der Schnittstelle von Kunst und Forschung, indem sie wissenschaftliche Disziplinen mit Medien verquickt. Ihre Medieninstallationen kombiniert sie mit Performances und partizipativen Arbeiten. Ihre künstlerischen Arbeiten stehen auf einem Fundament aus Forschung und Theorie. Bei Austen ist Interdisziplinarität ein Mittel, um ansonsten unzugängliches Wissen erreichbar zu machen.
Austens Werk „Matter of the Soul“ ist eine Symphonie über die Arktis unter anthropogenem Einfluss. Es setzt sich emotional mit der Geschichte der Zerstreuung in der Arktis auseinander. Angepaste wissenschaftliche Instrumente messen die physikalischen und chemischen Eigenschaften von Wasser, um Geräusche aus der Ausbreitung von Wasser zu erzeugen, wenn es sich von Eis in Meerwasser verwandelt. Sie tut dies, „um die global-lokale Natur des Problemraums hervorzuheben und buchstäblich die emotionalen Auswirkungen des inhärenten Verlustes zu verdeutlichen, der in die Veränderungen eingewoben ist, die durch die Klimakrise und die Industrialisierung in der Arktis entstehen.
Politikerinnen und Politiker haben ihr signalisiert, dass diese Arbeit sie dazu gebracht habe, ein emotionales Wissen über die Klimakrise auf eine Weise zu erlangen, zu dem sie vorher keinen Zugang hatten. Für Austen ist klar: Wenn Kunst und Wissenschaft zusammengebracht werden, können neue Fragen aufgeworfen werden, die für Erzählungen über Nachhaltigkeit relevant sind, und es können neue Diskussionen und Diskurse angestoßen werden, die sonst nur schwer oder gar nicht zugänglich wären.
Urihi - abweichende politische Bilder des Amazonas Regenwaldes
Maria Cecilia Oliveiras geteilte Erfahrung entstand durch ein Bild: Riesengroße pinke Bäume, die einen dichten fluoreszierenden tropischen Wald bilden. Das Bild aus der Vogelperspektive verrät, was sich darin befindet: eine bergartige, kegelförmige Hüte, die in der Mitte steht. Das Bild trägt den Titel - Urihi, was in der Sprache der Yanomami-Indigenen Amazoniens „mein Land/das große Waldland“ bedeutet. Sie erklärt, dass in unserer Gesellschaft urihi – terra-floresta – Natur bedeuten würde. Oliveira war verblüfft, als sie Claudia Andujars Foto von 1976 entdeckte, als sie die Umsetzung des Pariser Abkommens und seine Auswirkungen auf den Amazonas-Regenwald erforschte.
Als Künstlerin und Wissenschaftlerin ist sie es gewohnt, ihre akademische Arbeit über internationale Beziehungen, den Klimawandel und die Umweltgeisteswissenschaften mit der Erforschung ästhetischer Experimente und Performances zu verbinden.
Die Begegnung mit diesem Bild war für sie ein Ereignis, wie bei dem französischen Philosophen Gilles Deleuze, der sagte (übersetzt):
"Das Mögliche gibt es nicht im Voraus. Es wird durch das Ereignis geschaffen."
Gilles Deleuze
Oliveira sagt: „Ich erkannte, dass ich, um die politische Geschichte der Gegenwart zu verstehen und über den Amazonas-Regenwald nachzudenken, die Wissenschaft, aber auch die Erfindung des Amazonas und seines Territoriums erforschen müsste.“
Das Kunstwerk hat sie nicht nur dazu gebracht, erkenntnistheoretische Ansätze zu überdenken. Es veranlasste sie zugleich, Bilder des Amazonas-Regenwaldes zu erforschen, die Alexander von Humboldts Landschaften mit historischen politischen Vorstellungen der Region in Verbindung bringen. Sie schuf ihre eigenen Bilder mit einer Kunstperformance (Video), was wiederum ihre postkoloniale Analyse bereicherte.
Wissenschaftliche Methoden und Fantasie schaffen fiktive Szenarien im Haus der möglichen Zukünfte
Im Falle des Futurium Lab, vertreten durch die Diskussionsteilnehmerin Stefanie Holzheu, ist die Zusammenarbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Kunstschaffenden zu Nachhaltigkeitsthemen keine Überraschung. Auf einer ganzen Etage des Futuriums – einem neuen museumsähnlichen Haus der Zukünfte in Berlin – arbeitet das Futurium Lab mit „Zukunftsmachern und -macherinnen" wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Bürgerforschenden, Künstlerinnen und Künstlern sowie Besuchenden.
Durch spekulatives Design lädt es die Teilnehmenden dazu ein, zu erforschen, wie unsere künftige Welt aussehen könnte, wenn wir so weitermachen wie jetzt. Die aktuelle Ausstellung „The Outside Inside“ (zur Entstehungszeit dieses Blogs) von Johanna Schmeer zeigt Pflanzen, Flechten und Pilze in einem mit Sensoren ausgestatteten Garten und konfrontiert uns mit Arten, die sich an schnelle Ökosystemveränderungen anpassen können - im Gegensatz zur großen Mehrheit, die dies nicht kann. Hier schaffen wissenschaftliche Methoden und Fantasien fiktive Szenarien, die es den Besuchenden ermöglichen, zu fühlen und zu verstehen, wohin wissenschaftliche Innovationen uns führen könnten und dies zu diskutieren.
Die Spaltung von akademischen Disziplinen, Forschungsmodi und Künsten besteht weiterhin. Während es Schwierigkeiten bei der Bildung transdisziplinärer Projekte zwischen Kunstschaffenden und Wissenschaftlerinnen sowie Wissenschaftlern gibt, existieren Räume, Initiativen und Menschen, die sich für die Überwindung dieser Grenzen einsetzen. Die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Kunst kann uns herausfordern, kritisch zu denken und neue Möglichkeiten für die Zukunft zu erschließen.
Dies lohnt sich, denn sie sind starke Verbündete.