Kann die Klimaschutzpolitik den Amazonas „retten“?
10.12.2020
Die Fotos werden mit freundlicher Genehmigung von Claudia Andujar und der Galerie Vermelho veröffentlicht. Für weitere Informationen über die Arbeit von Claudia Andujar schreiben Sie an info [at] galeriavermelho [dot] com [dot] br.
1. Einführung
Als eine seiner ersten Aktionen als gewählter Präsident kündigte Joe Biden an, dass die USA dem Pariser Klimaabkommen wieder beitreten werden. Zuvor hatte Biden bereits gewarnt, dass die brasilianische Regierung als Klimaverbrecher bezeichnet und in ein schlechtes Licht gerückt würde, wenn sie die Abholzung im Amazonasgebiet nicht stoppen würde. Diese Sorge um den Amazonas ist im internationalen Klimadiskurs weit verbreitet. In der Tat ist die „Rettung“ des Amazonas zum Wohle des Klimas unter Klimapolitikerinnen und -politikern und Forschenden gleichermaßen zu einem Sammelruf geworden.
In diesem Beitrag möchte ich zeigen, dass die Eindämmung der Entwaldung im Amazonasgebiet zwar zweifellos bedeutsam ist, dass es allerdings problematisch ist, die Herausforderung als eine Mission zur „Rettung“ des Amazonas zu formulieren, um den Klimawandel zu bekämpfen. Dieses Framing birgt die Gefahr, internationalen Akteuren eine quasi-religiöse Retterrolle zuzuweisen und verunglimpft jene Menschen, vor denen das Amazonasgebiet „gerettet“ werden muss. Während Rechtspopulisten und Klimawandelleugner wie der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro sich für solche manichäischen Berichte eignen, impliziert diese Art von Diskurs über die Rettung des Amazonas auch, dass die bloße Entfernung von Rechtspopulisten aus dem Amt die Lösung ist. Dabei wird jedoch die Tatsache übersehen, dass die meisten Probleme der Amazonasregion – von der Abholzung über wirtschaftliche Ausbeutung bis hin zu politischer Gewalt – schon vor Bolsonaro bestanden und nach ihm fortbestehen werden, selbst wenn er bald das Schicksal des abgewählten Donald Trump teilen sollte.
Darüber hinaus vernachlässigt ein enges Verständnis von „Rettung“ als Verringerung der Abholzung viele der zugrunde liegenden gesellschaftspolitischen Konflikte, die bedeutend zur Umweltzerstörung im Amazonasgebiet beitragen. Um die Lage des Amazonas im Anthropozän angemessen zu erfassen, bedarf es eines umfassenderen Verständnisses der politischen Geschichte, der Umweltungerechtigkeiten und der wirtschaftlichen Ausbeutung, die die Region und ihre Bevölkerung zumindest seit der zivil-militärischen Diktatur der 1970er und 1980er Jahre betroffen haben.
2. Die Retter: Die Klimaschutzmaßnahmen und der Amazonas
Seit der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen von 1992 basieren Klimaschutzmaßnahmen auf einem völkerrechtlichen Rahmen, dessen zentrales Ziel die Eindämmung der globalen Erwärmung ist. Das Pariser Abkommen von 2015 ist der gegenwärtige internationale Eckpfeiler dieses Regimes. Sein zentraler Mechanismus sind die Nationally Determined Contributions (NDCs), in denen sich die Vertragsstaaten zur Umsetzung der nationalen Klimapolitik verpflichten. Damit einher gehen separate Klimafinanzierungsregime, die Mitigationsmaßnahmen finanzieren und finanzielle Anreize zur Emissionsminderung schaffen, wie etwa der Green Climate Fund und das Programm REDD+ (Reduzierung der Emissionen aus Entwaldung und Walddegradation).
Dieser internationale Rechtsrahmen wird von einem spezifischen wissenschaftlichen und politischen Diskurs begleitet. Dessen wiederkehrendes Element ist der Gedanke, die Welt oder Teile davon vor dem Klimawandel zu „retten“. Diese Rhetorik zur Rettung des Amazonas wird von politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gleichermaßen verwendet. In einer Rede vor den Vereinten Nationen im Jahr 2019 erklärte der französische Präsident Emmanuel Macron beispielsweise: „Wir müssen konkret und schnell handeln, um den Amazonas zu retten.“ Meistens ist die Struktur des Diskurses dichotom und manichäisch: Ein Retter und eine äußere Bedrohung werden definiert, wobei messianische Obertöne verwendet werden, um einen moralischen Gegensatz zwischen Gut und Böse zu schaffen.
Das Amazonasgebiet spielt in den internationalen Klimarettungsdiskursen eine übergeordnete Rolle. Gegenwärtig trägt diese Region aufgrund der Abholzung und der darauffolgenden landwirtschaftlichen Entwicklung erheblich zu den Treibhausgasemissionen bei. Die ehemalige Kohlenstoffsenke wird zu einer Kohlenstoffquelle. Politisch hat die „Rettung“ des Amazonasgebiets somit eine ganz spezifische Bedeutung angenommen, nämlich die Eindämmung der Abholzung, um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren und die Kohlenstoffbindung aufrechtzuerhalten. Die Eindämmung der Abholzung des Amazonasgebiets war eine der wichtigsten Prioritäten in den NDCs, die Brasilien während der Präsidentschaft von Dilma Rousseff im Jahr 2016 verabschiedet hat. Ziel war es, die illegale Abholzung bis 2030 auf null zu reduzieren.
3. Der Messias: Bolsonaro, der Klimawandel und die Geschichte des Amazonas
Der Umgang mit dem Amazonas in der brasilianischen Politik hat sich seit dem Machtantritt des Rechtspopulisten Jair Bolsonaro radikal verändert. Während seines Präsidentschaftswahlkampfes präsentierte sich Bolsonaro – dessen zweiter Vorname Messias lautet – als der nationale Messias und stützte sich stark auf evangelikale politische Gruppen. In Übereinstimmung mit diesem religiösen Thema nahm er seinen ganz eigenen Rettungsdiskurs an, in dem er vorgab, den Amazonas zu „retten“ – nicht vor der illegalen Abholzung, sondern vor der Unterentwicklung und ausländischen Einmischung. Seit seinem Amtsantritt hat Bolsonaro seine Klimaskepsis bekräftigt und Maßnahmen zum Abbau von Institutionen für Umweltschutz, wissenschaftliche Forschung und Schutz der Menschenrechte ergriffen. Seine Politik für das Amazonasgebiet besteht darin, die Öffnung der Region für Investitionen und wirtschaftliche Aktivitäten zu beschleunigen und die Landnutzungsrechte indigener und traditioneller Gemeinschaften einzuschränken. Bolsonaro hat zwar keinen formellen Rückzug aus dem Pariser Abkommen angekündigt, doch die Realität vor Ort zeigt, dass das brasilianische NDC und insbesondere das Ziel, die Abholzung zu reduzieren, hinfällig geworden sind.
Angesichts dieser Rhetorik und Politik wird Bolsonaro inzwischen als eine Bedrohung für den Amazonas wahrgenommen. Und in der Tat wirft seine rechte Politik zahlreiche Probleme auf, darunter die beschleunigte Abholzung des Amazonas. Bolsonaro als den Bösewicht darzustellen, vor dem das Amazonasgebiet gerettet werden muss, ist jedoch unterkomplex. Rechtspopulistinnen und -populisten wie Bolsonaro aus dem Amt zu entfernen, wird die komplexen Probleme im Amazonasgebiet nicht lösen, denn diese sind älter als Bolsonaro. Zwar ist die gegenwärtige Konzentration auf die rechtspopulistische Opposition gegen die Klimaschutzpolitik verständlich, doch darf uns diese Konzentration nicht von einer tieferen Analyse der zahlreichen AkteurInnen und der historischen Dynamiken ablenken, die die strukturellen Probleme verursacht haben, von denen die Abholzung nur eine Manifestation ist.
Tatsächlich greift Bolsonaro auf einen langjährigen nationalistischen und souveränen Diskurs und eine politische Praxis zurück, die den Amazonas als entscheidenden Ort der nationalen Integration und Identität konstruieren. Dieser Diskurs und diese Praxis, die jetzt von Bolsonaro wiederbelebt werden, erlebten ihren letzten Höhepunkt während der zivil-militärischen Diktatur der 1970er Jahre. Das damalige Regime institutionalisierte das problematische Entwicklungsmodell und die autoritären Machtstrukturen, die die Region bis heute beherrschen. Seitdem hat das Amazonasgebiet eine ständige militärische Präsenz im Wald, eine Intensivierung der Megaprojekte in der Infrastruktur, langwierige Konflikte um das Agribusiness und Rohstoffaktivitäten sowie die Diskriminierung, Vertreibung und Ermordung indigener Völker erlebt. Diese politisch-wirtschaftlichen Strukturen sind historisch verankert und haben sich als widerstandsfähig oder sogar kompatibel mit dem demokratischen Wandel erwiesen.
4. Die Nutzung des Amazonas zum Schutz des Klimas wird den Amazonas nicht retten
Die historisch gewachsenen politisch-ökonomischen Strukturen sind nicht nur ein Problem an sich, sondern hemmen auch die Art von Veränderungen, wie sie die Klimaschutzpolitik vorsieht, insbesondere die Anstrengungen zur Verringerung der Abholzung und der Kohlenstoffemissionen. Der internationale Diskurs über die Rettung befasst sich nicht ausreichend mit diesen zugrunde liegenden, tief verwurzelten Strukturen.
Zum einen ist die Agrarlobby im Amazonasgebiet, eine historisch verankerte politische Kraft, weiterhin gegen Maßnahmen zur Verringerung der Abholzung, da ihre wirtschaftliche und politische Macht von der Ausweitung der Landwirtschaft und den Rohstoffaktivitäten in der Region abhängt. Darüber hinaus ist die Vorstellung, dass der Amazonas ein konstitutiver Teil der brasilianischen Nation ist, in mächtigen militärischen und konservativen Kreisen nach wie vor weit verbreitet, die die internationale Klimapolitik in Bezug auf den Amazonas weiterhin als Eingriff in die nationale Souveränität betrachten. Diese politische Ökonomie und Ideologie stellen erhebliche Hindernisse für die Umsetzung des Pariser Abkommens und der NDCs vor Ort im Amazonasgebiet dar, selbst nachdem Bolsonaro sein Amt niedergelegt hat. Finanzielle Anreize zur Verringerung der Entwaldung durch Programme wie REDD+ können kurzfristig dazu beitragen, die wirtschaftlichen Motivationen lokaler Akteure zu ändern. Langfristig reichen sie jedoch möglicherweise nicht aus, um das im Amazonasgebiet vorherrschende Entwicklungsmodell zu transformieren, und sie können sogar unbeabsichtigte nachteilige Auswirkungen wie eine Erhöhung der Landkonzentration haben. Die REDD+-Agenda ist einfach zu eng gefasst, um Gewalttaten zu überwinden, die historisch bei wirtschaftlichen Aktivitäten im Amazonasgebiet vorhanden sind.
Selbst wenn es gelingt, die Abholzung und die Emissionen bis zu einem gewissen Grad zu reduzieren, wird dies letztlich immer noch nicht die vielen anderen Probleme lösen, die mit den etablierten politischen Strukturen in der Region verbunden sind, wie z. B. die Militarisierung und die endemische Gewalt, von der vor allem gefährdete Bevölkerungsgruppen betroffen sind. Diese Gewalt resultiert aus Landstreitigkeiten, der Ausbeutung billiger Wanderarbeiter oder einheimischer Arbeitskräfte, der Unterdrückung indigener Gemeinschaften, dem extensiven Einsatz des nationalen Militärs zu Verwaltungszwecken und der Schwäche gewaltfreier demokratischer Prozesse angesichts des anhaltenden politischen Einflusses alter Eliten. Die kontinuierliche Sicherung des Amazonasgebiets durch militärische Aktivitäten, die politisch gut vernetzten Großgrundbesitzern zugutekommen, wird von internationalen Klimaakteuren nach wie vor nur unzureichend verstanden. Selbst wenn das Amazonasgebiet eines Tages für die Zwecke des Klimawandels „gerettet“ wird, wird dies daher für viele der Menschen, die dort leben und leiden, keine Erfolgsgeschichte sein.
5. Fazit
Diese Analyse unterstreicht die Notwendigkeit, den politischen und akademischen Diskurs über das Amazonasgebiet im Kontext der internationalen Klimapolitik zu erweitern. Brasilien muss sich mit dem sozio-ökologischen Erbe der zivil-militärischen Diktatur im Hinblick auf die politischen Nutzungen und Vorstellungen vom Amazonasgebiet auseinandersetzen. Das internationale Klimaregime muss Fragen der Umweltgerechtigkeit ernster nehmen, die Zwänge anerkennen, die ein auf Ressourcengewinnung basierendes Wirtschaftssystem auferlegt, und sich der Tatsache stellen, dass die gegenwärtige Politik der Atmosphäre tief in die Kartographie von Ausgrenzungsregimes wie dem des Amazonas verstrickt ist. Die Nutzung des Amazonasgebiets zur „Rettung“ des Planeten bekräftigt letztlich eine utilitaristische Vorstellung von der Natur, die sich nicht ausreichend von der instrumentellen Nutzung der Region durch die alten Kolonisatoren, das autoritäre Militär oder den messianischen Präsidenten distanziert.
Claudia Andujar ist Fotografin und Aktivistin. Ihre Arbeit porträtiert seit mehr als 50 Jahren den Kampf und das Leben des Yanomami-Volkes im brasilianischen Amazonas-Regenwald. Die aktuelle Pandemie und die Ausbreitung von Covid-19 durch illegale Goldgräber machen Claudias Bilder zu einem dringenden Appell, der zeigt, wie eine historische Entwicklung die Gegenwart des Waldschutzes und der dort lebenden Menschen weiterhin verletzt.