Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Neustart nach Corona-Shutdown: Warum die deutsche Strategie Frauen benachteiligt

01.05.2020

Kathleen A. Mar

Dr. Kathleen A. Mar

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Nur Schülerinnen und Schüler ausgewählter Klassenstufen kehrten diese Woche zur Schule zurück - unter strikten Hygienevorschriften.
Nur Schülerinnen und Schüler ausgewählter Klassenstufen kehrten diese Woche zur Schule zurück - unter strikten Hygienevorschriften.

Am 15. April kündigte die Bundesregierung Pläne für einen schrittweisen Wiedereinstieg in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben nach dem fünfwöchigen Corona-Shutdown an. In einem ersten Schritt wurden Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von weniger als 800 Quadratmetern sowie Auto- und Fahrradläden unter strengen Hygiene- und Abstandsregelungen wiedereröffnet. Anfang Mai kehrten die Abschlussklassen in die Schule zurück.

Der Beschluss der Bundeskanzlerin und der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder enthielt keinen Hinweis darauf, wann die Kitas wiedereröffnet werden können oder wie Eltern die Kinderbetreuung neben ihrer Arbeit organisieren sollten. Am 16. April kündigte Berlin – die Stadt, die ich seit acht Jahren mein Zuhause nenne – an, dass die Kitas erst ab August, also in fast vier Monaten, ihren Regelbetrieb wieder aufnehmen sollen. Dieser Plan basierte auf Empfehlungen der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die die Regierung zu Covid-19 beraten hat.

Trotz einer großen Zahl von Covid-19-Fällen ist die Pandemie in Deutschland bisher glimpflich abgelaufen, insbesondere im Vergleich zu europäischen Nachbarn wie Italien, Spanien und Frankreich. Die Zahl der Todesfälle ist nach wie vor niedrig, das Gesundheitssystem hat der Belastung standgehalten und die Öffentlichkeit hat die Maßnahmen der Regierung in hohem Maße unterstützt. Aber als die ersten Schritte des Neustarts bekanntgegeben wurden, hatte ich plötzlich das Gefühl, dass die wirklichen politischen Prioritäten meiner Wahlheimat zutage traten: zuerst kommt die Autoindustrie, zuletzt kommen Frauen und Familien. Zwischen den Zeilen war herauszulesen, dass Kinderbetreuung Luxus sei und dass jemand (normalerweise die Mutter) auch dann, wenn andere zurück ins Büro gehen, zu Hause die Kinder versorgen würde. Das machte mich wütend.

In meiner Forschung an der Schnittstelle von Klima, Gesundheit und Politik habe ich begonnen, mich mit geschlechtergerechten Klimaschutzmaßnahmen der Vereinten Nationen zu beschäftigen, einschließlich des kürzlich vereinbarten Gender-Aktionsplans. In diesem Zusammenhang fand ich die Kriterien für geschlechtergerechte Lösungen, die von der UNFCCC Women and Gender Constituency zusammengestellt wurden, besonders hilfreich und aufschlussreich, vor allem die folgenden: Eine geschlechtergerechte Lösung zielt darauf ab, die Arbeitsbelastung von Frauen zu verringern und/oder nicht zusätzlich zu erhöhen. Kinder zu Hause zu behalten, während beide Elternteile im „Homeoffice“ arbeiten sollen, ist eine zusätzliche Belastung sowohl für Väter als auch für Mütter, aber sie trifft Frauen unverhältnismäßig. Weltweit verbringen Frauen bereits heute einen weitaus größeren Teil ihrer Zeit mit unbezahlter Pflegearbeit als Männer. In der Covid-19-Krise gibt es bereits Hinweise darauf, dass die Produktivität von Wissenschaftlerinnen gesunken, die von Wissenschaftlern jedoch gestiegen ist. Für mich war das Urteil glasklar: Deutschlands Covid-19-Reaktion kann nicht als geschlechtergerecht bezeichnet werden.

Zur Klarstellung: Ich verstehe, dass es epidemiologische Gründe für die Annahme gibt, dass das Risiko der Wiedereröffnung eines Autohauses geringer ist als die Wiedereröffnung eines Kindergartens – von Kindern kann nun einmal nicht erwartet werden, dass sie Masken tragen oder einen Abstand von 1,5 Metern einhalten. Die komplexe Aufgabe der „Wiedereröffnung“ nach einer Pandemie zu bewältigen, erfordert jedoch eine Abwägung der sozialen, wirtschaftlichen und psychologischen Vorteile und Risiken, die weit über das Infektionsrisiko als einziges Kriterium hinausgehen. Ich kam nicht um die Schlussfolgerung herum, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter bei der deutschen Covid-Reaktion entweder nicht berücksichtigt wurde oder keine Priorität hatte.

Ein möglicher Grund dafür: Repräsentation. Wie in einem Offenen Brief von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und in vielen Medien hervorgehoben wurde, bestand das Expertenkomitee der Leopoldina, das mit der Erarbeitung von Empfehlungen für die deutsche Covid-19-Antwort beauftragt war, aus 24 Männern und nur zwei Frauen; das Durchschnittsalter lag bei 63 Jahren.

Andere Länder haben andere Wege gewählt. Sowohl in Dänemark als auch in den Niederlanden gehörten Schulen und Kindertagesstätten zu den ersten Einrichtungen, die wieder öffneten, und nicht zu den letzten. Wenn Deutschland jedoch zu dem Schluss gekommen ist, dass die Kindertagesstätten geschlossen bleiben müssen, um die öffentliche Gesundheit zu schützen, gibt es andere Möglichkeiten, die Antwort auf Covid-19 geschlechtergerechter zu gestalten: Eine Option, die in dieser Petition vorgeschlagen und von den Grünen aufgegriffen wurde, wären Zahlungen an betroffene Eltern, die zum Ausgleich der Kosten für private (Einzel-)Betreuung der Kinder verwendet werden könnten. Und damit komme ich zu einem eindeutig positiven Merkmal der deutschen Reaktion auf Covid-19: die Offenheit für gesellschaftliche Debatten.

Ich war bei weitem nicht die Einzige, die die geschlechtsspezifischen Folgen des Plans bemerkt hat, die Kindertagesstätten bis August geschlossen zu lassen und gleichzeitig einen Großteil der übrigen Gesellschaft wieder zu öffnen; das Thema wurde von vielen angesprochen und von den Medien ausführlich behandelt. Die Stadt Berlin veränderte daraufhin ihre Position etwas und versprach, einen Plan vorzulegen für eine zumindest teilweise Öffnung der Kindertagesstätten „deutlich vor August“; ein bundesweites Konzept dafür, wann und wie die Kindertagesstätten wieder geöffnet werden sollen, existiert noch nicht.

Ich weiß, dass ich mich im Großen und Ganzen sehr glücklich schätzen kann, in Deutschland zu leben – jeden Tag und besonders während dieser Pandemie. Aber das heißt nicht, dass ich von Politik und Gesellschaft nicht mehr verlangen kann.

Ein Freund von mir hat die Hypothese aufgestellt, dass in Krisenzeiten das Thema Geschlechtergerechtigkeit einfach nicht im Vordergrund steht. Ich weiß nicht, welche Hinweise es gibt, die diese Vermutung stützen oder widerlegen, aber sie erscheint mir potenziell wahr und auch gefährlich, vor allem in Zeiten, in denen es sich so anfühlt, als würde eine Krise auf die nächste folgen.

Sicherlich kann auch, egal was passiert, eine politische Entscheidung niemals allen gefallen – und Frauen sind nicht die einzige Gruppe, die tendenziell übersehen wird. Nichtsdestotrotz sollten wir in einer wohlhabenden und demokratischen Gesellschaft wie der deutschen danach streben, unseren eigenen hohen Standards bei der Antwort auf Covid-19 gerecht zu werden – und dazu gehören auch unsere Ideale der Geschlechtergerechtigkeit.

Deutsche Politikerinnen und Politiker haben sich hinter die Forderung gestellt, dass Investitionen und Konjunkturprojekte in der Coronakrise Klima- und Nachhaltigkeitsziele unterstützen. Ich befürworte das von ganzem Herzen. Besonders der Green Climate Fund (GCF), für den Deutschland ein bedeutender Geldgeber ist, bemüht sich um eine fortschrittliche Politik: Bei allen Projektanträgen wird eine Gender-Expertin oder ein Gender-Experte einbezogen, und Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfungen umfassen Fragen der Geschlechtergerechtigkeit. Lassen Sie uns unser Bestes tun, damit Worten Taten folgen, und uns in unserer Reaktion auf Covid-19, auf die Klimakrise und darüber hinaus auf nationaler Ebene für Geschlechtergerechtigkeit einsetzen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Englisch im Women Leader’s for Planetary Health blog.

 

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